Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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„Überwältigend!“ Mit diesem Ausruf haben unzählige Menschen in den vergangenen Wochen ihr Empfinden angesichts der Welle an Hilfsbereitschaft in der Flüchtlingskrise auf den Punkt gebracht. Überwältigend das Empfinden, anderen helfen zu können; überwältigend auch das Empfinden der eigenen Hilflosigkeit angesichts des „Flüchtlingsstroms“. Hilflosigkeit, die inzwischen nicht selten in Ablehnung oder gar Hass gegen „die Fremden“ umschlägt.
Dennoch überwiegt weiterhin – Gott sei Dank – die Hilfsbereitschaft und Menschen übernehmen Verantwortung: in Gemeinden und Pfarren, in Vereinen und privaten Initiativen. Sie antworten auf den Ruf des anderen, des Fremden, der plötzlich entwaffnend nackt in Gestalt von Familien und kleinen Kindern vor einem steht. Dieser Ruf ist viel unmittelbarer als alle Abwehrhaltung gegen angebliche „Überfremdung“, als alle Sorge um die eigene Identität.
Verantwortung ist auch eine Zumutung: Man braucht Mut dazu, man will sie vielleicht nicht. Und doch ist sie unausweichlich, wenn man die Rede von der Würde jedes Menschen ernstnimmt: Denn dann gibt es keinen Verstoß gegen die Würde des Menschen mehr, gibt es kein Leiden auf dieser Welt mehr, das mich, das uns nichts angeht. Ich kann mich taub stellen gegen diesen Ruf der Leidenden, ich kann ihn ignorieren, lächerlich machen – entkommen kann ich ihm nicht. „Bin ich der Hüter meines Bruders?“, antwortet Kain auf die Frage Gottes, wo sein Bruder sei. „Ja, das bist du!“, möchte man ihm entgegnen. Von Beginn an.
Im Glauben erhoffen wir eine höhere Gerechtigkeit. Nicht für uns, sondern für den anderen, die Opfer der Geschichte. Dort, wo unsere Verantwortung endet, hoffen wir darauf, dass Gottes Verantwortungsbereich beginnt. Dass er antwortet. Auch sich selbst verantwortet für seine Schöpfung, die oft defizitär daherkommt, zerbrechlich, zerbrochen, gottverlassen. Müssen wir Gott an seine Verantwortung erinnern? Oder tun wir nicht genau das in jedem Gebet, in jedem Vater unser, wenn wir rufen „Dein Reich komme“?
Zu Weihnachten feiern Christen eben dies: das Kommen des Reiches Gottes. Anfanghaft in einem Kind. Zart, zerbrechlich, angewiesen auf unsere Verantwortung. In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion des miteinander ein frohes Weihnachtsfest: Denn wer um die Last der Verantwortung weiß, die sich Gott und Mensch gleichermaßen aufbürden, der kann umso befreiter die Menschwerdung Gottes, dieses Wunder höchster Verantwortlichkeit, feiern.
Henning Klingen
Chefredakteur