Mag. Lukas Cioni
Redaktionsleiter / Chef vom Dienst
miteinander-Magazin
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Es ist später Nachmittag. Der Reihe nach haben mich in den letzten Minuten Kollegen kontaktiert, um mir ihre Patienten zu übergeben, zu überantworten. Viele sind stabil. Aber jeder hat ein, zwei „Sorgenkinder“ dabei: eine Patientin nach Polyp-Abtragung, die nachbluten könnte; ein Patient, der im Rahmen von Bluthochdruck-Krisen trotz aller Medikamente immer wieder Herzbeschwerden bekommt; eine Patientin mit Lungenerkrankung, die in der Früh Atemnot entwickelt; und schließlich auch zwei Palliativ-Patienten, Menschen am Ende ihres Lebens, die vielleicht heute Nacht sterben werden.
Ab 18.00 Uhr bin ich mit einem jüngeren Kollegen allein im Dienst. Eine kurze Stärkung, ein Paar Würstel beim Buffet. Um 19.00 Uhr ist Schichtwechsel der „Pflege“: Die nachtdiensthabenden Schwestern und Pfleger besuchen zunächst alle Patienten. Dann gehe ich die Krankenstationen ab. Lange Gänge. Es ist ruhig geworden. Viele Türen, viele Zimmer, viele Schicksale, die sich uns anvertraut haben oder uns anvertraut wurden. Uns, einer kleinen Mannschaft aus Schwestern, Pflegern und mir als Arzt. Für die wir die Verantwortung übernommen haben. Verantwortung für Wohlergehen im Kleinen ebenso wie für existenzielle, lebensbedrohende Probleme.
Christliche Gastfreundschaft
Wir arbeiten in einem Krankenhaus des Ordens der Barmherzigen Brüder. Hospitalität ist das Motto dieses Ordens, unser Motto. Übersetzt wird das mit: christliche Gastfreundschaft. Die spüre ich oft, wenn ich höre, wie die Nachtschwester jeden Patienten begrüßt, nach seinem Befinden fragt, ob er oder sie etwas für die Nacht bräuchte. Ich komme dazu, wenn es Probleme gibt, Atemnot, Schmerzen, Schlaflosigkeit, Angst. Auch in Zeiten mündiger Patienten vertraut sich der Mensch in diesen Situationen dem dazu Berufenen an, gibt seine Verantwortung ab, erwartet sich eine Antwort, ein Tun, ein Kümmern oder auch nur das beruhigende Wort, die Nähe. Zuletzt führt der Rundgang des Nachtdienstes auf die Intensivstation. Hier spitzt sich die Verantwortung, die das Pflegepersonal und ich tragen, nochmals zu: Vier der sieben Patienten sind in Dauerschlaf versetzt, sediert und werden maschinell beatmet. Die Monitore zeigen Vitalfunktionen an und warnen, wenn Zielwerte nicht erfüllt werden. Medikamente werden adaptiert, Beatmungsmaschinen nachjustiert. Zwei wachen, ansprechbaren Patienten wünsche ich eine gute Nacht. In zwei- bis dreistündigen Abständen wiederhole ich meinen Rundgang. Dazwischen bleibe ich telefonisch erreichbar.
Respekt, Qualität, Spiritualität
In den letzten Jahren wurde das Leitmotto der Hospitalität bei den Barmherzigen Brüdern durch vier Werte näher definiert. „Verantwortung“ gehört dazu, neben „Qualität“, „Respekt“ und „Spiritualität“. Diese Werte stehen in gegenseitiger Abhängigkeit, so wie auch alle, die hier mitarbeiten, sich aufeinander verlassen können müssen.
Auch nach 30 Jahren und viel Routine spüre ich im Nachtdienst, dass dieses jetzt stille Krankenhaus ein besonderer Ort, ein besonderer Arbeitsplatz ist. So viele Emotionen liegen hier eng beieinander: Hoffnung, Heilung, Vertrauen, Zuflucht, Verzweiflung, Begleiten, Sterben. Manchmal lastet das auf meinen Schultern, manchmal bin ich froh, diese alleinige Verantwortung in der Früh wieder an einen größeren Kreis von Kollegen abgeben zu können.
Heute ist es ruhig geblieben. Geht es meinen Patienten gut, geht es auch mir gut. Kurz nach 6.00 Uhr früh drehe ich meine letzte Runde, die Reinigungskräfte sind schon unterwegs, das Krankenhaus erwacht zum Leben. Nach etwas über 24 Stunden ist mein Dienst zu Ende. Ich verabschiede mich in dem Wissen, dass „meine“ Patienten auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen in guten Händen sind. Ich radle nach Hause. Manchmal grübelnd, manchmal erleichtert, oft auch vergnügt, fast immer zufrieden, einen der schönsten Berufe ausüben zu dürfen.
Robert Buder