Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Im Lauf der Jahrhunderte haben unzählige Menschen die evangelischen Räte Armut, Ehelosigkeit/Keuschheit und Gehorsam als Lebensform angenommen und tun das bis heute. Viele andere gestalten ihr Leben aus inneren Haltungen heraus, die dem Geist der Räte entsprechen, ohne sich nach außen darauf zu verpflichten. Dabei sind die „großen drei“ nur die Spitze des Eisbergs: Sie werden getragen und flankiert von „vielfachen Räten des Evangeliums“ (LG 42) – Vergebung, Gastfreundschaft, Gewaltfreiheit, Aufmerksamkeit und Berührbarkeit, um nur einige zu nennen.
Das „Halten“ von Gelübden und das Befolgen von Regeln stehen dabei nicht im Zentrum. Alles, was hier im Lauf der Zeit gewachsen ist, ist nur so etwas wie ein Geländer, das uns auf dem Weg halten will. Denn gefährdet wird diese Lebensgestalt immer sein, brüchig, fragmentarisch, begrenzt. Die gute Botschaft lautet: Gott weiß, dass das so ist. „Er denkt daran: Wir sind nur Staub“ (Ps 103,14b). Oft sind wir es, die nicht daran denken wollen und eine unmenschliche Perfektion anstreben, die uns überfordert und mutlos macht.
Begeisternde Glaubenszeugen
Gelassenheit auf meinem Weg der Nachfolge schenken mir die Worte dreier Glaubenszeugen aus unterschiedlichen Zeiten: Paulus schreibt im 2. Korintherbrief von den „irdenen“, also zerbrechlichen Gefäßen, in denen wir den „Schatz“ tragen. Und er gibt auch an, wozu das so ist: „Damit das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“ Anders gesagt, damit wir nicht glauben, wir würden aus uns heraus die großartige Leistung eines überzeugenden Lebens der Nachfolge Jesu erbringen (vgl. 2 Kor 4,7).
Meister Eckhart, der große Dominikaner aus dem 13./14. Jahrhundert, erinnert mich daran, dass der Mensch „jeweils nur eines tun [muss (und kann)], er kann nicht alles tun“. Diese (s)eine Weise ist dem Menschen von Gott geschenkt und er „soll darin Gott vertrauen und alle guten Weisen in genau diese (seine) Weise einbeziehen … Er sorge sich nicht, dass er jemals irgendetwas versäume, wenn er bei seiner Weise bleibt. Denn mit Gott kann man gar nichts versäumen.“ (Reden der Unterscheidung 22)
Und Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Christ und Märtyrer des 20. Jahrhunderts, sagt: „Es kommt wohl nur darauf an, ob man den Fragmenten unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze gedacht war.“ Wenn wir so leben, dann – so schreibt Bonhoeffer weiter – „wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden“ (Widerstand und Ergebung).
Es geht nicht um Perfektion
Das Zeugnis, das wir den Menschen schulden, besteht nicht darin, perfekt zu sein, sondern auf einem Weg des Wachsens und Reifens in der Spur Jesu zu bleiben. Die „alten“ Weisungen der evangelischen Räte wollen mir darin Orientierung geben und mich ermutigen, mich Gott und den Menschen zur Verfügung zu stellen. Die Gnade, um die wir beten sollen und dürfen, ist die, dass trotz aller Fragmentarität derjenige erkennbar bleibt, um den es bei einem Leben nach den evangelischen Räten geht: Jesus Christus. Denn eigentlich gibt es nur einen wirklichen Rat, und das ist er selbst.
Sr. Anneliese Herzig MSsR