Mag. Lukas Cioni
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Ein fast mannshoher Erdhaufen, bedeckt mit einer dunkelgrünen Plastikplane, daneben das ausgehobene Grab. Wer hier – nicht unweit der Karl-Borromäus-Kirche inmitten des Wiener Zentralfriedhofs – in Kürze seine letzte Ruhestätte finden wird, verrät der schlichte schwarze Grabstein nicht. Wohl aber, dass Christiane und Theresia bereits hier bestattet wurden.
Ob das eingravierte Kreuz für den nun Verstorbenen zu Lebzeiten eine Bedeutung hatte und sein Begräbnis kirchlich sein wird? Vielleicht wird es zu den rund 7.000 kirchlichen Begräbnissen pro Jahr in Wien zählen.
Zuständig dafür wäre dann Diakon Hubert Zach, Leiter des Einsegnungsdienstes der Erzdiözese Wien. Zach erlebt, dass es für die meisten Menschen selbstverständlich ist, ihre Toten würdevoll zu begraben. "Der Körper unserer verstorbenen Familienangehörigen ist die verbliebene Existenz eines bis noch vor kurzer Zeit lebendigen, geliebten Menschen." Für gläubige Christen kommt dazu: "Der tote Leib war bis zum Sterben die Wohnung Gottes und so ist mit dem Leichnam dementsprechend auch umzugehen."
Im vierten Jahrhundert wurde das Gebot, die Toten würdig zu bestatten, zu den sechs leiblichen Werken der Barmherzigkeit aus der Gerichtsrede Jesu im Matthäusevangelium hinzugefügt. Das zeigt, wie zentral die Achtung vor dem verstorbenen Menschen, die Verbundenheit mit ihm auch im Tod und der Glaube an die Auferstehung von Seele und Leib seit jeher sind.
Der Wiener Zentralfriedhof ist mit seinen 330.000 Gräbern einer der größten Friedhöfe Europas und neben letzter Ruhestätte für Abertausende Wiener auch Erholungsgebiet und Touristenmagnet. Das Paar aus München, das mit Orientierungsplan in den Händen die regennassen Pfade entlangspaziert, möchte vor allem die Ehrengräber sehen. Dass man Tote würdevoll begräbt und ihnen damit die letzte Ehre erweist, steht für die beiden außer Frage. "Man lässt niemanden einfach liegen, der für einen wichtig war", sagen sie. "Selten, aber auch" besuchen sie zu Hause die Gräber von Angehörigen.
Die ältere Friedhofbesucherin, die auf Krücken gestützt vom asphaltierten Hauptweg in eine der Grabreihen abbiegt, kommt hingegen nicht aus touristischer Neugier auf den Friedhof. "Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben. Wir waren 56 Jahre verheiratet! Da ist es selbstverständlich, dass ich zu ihm ans Grab komme." Die Pflege des Grabes, in dem auch ihre Schwiegereltern bestattet wurden, sei ihr wichtig und auch daheim habe sie ein Foto ihres Mannes und eine Kerze aufgestellt. "Ich komme nicht jede Woche, aber so drei-, viermal im Monat."
Die Witwe auf dem Zentralfriedhof stellt laut Diakon Zach eine Ausnahme dar, denn es sei Angehörige in der Großstadt die Grabpflege selbst übernehmen. Viele Gräber würden nach einiger Zeit gar nicht mehr betreut und verwahrlosen. Und wirklich: Wer über den Friedhof spaziert, sieht nur hin und wieder frische Blumen, Gestecke oder brennende Grablichter. So manche Grabplatte ist unter Efeuranken und modri gem Laub völlig versteckt. Zach deutet diese Entwicklung nicht positiv: "Die Menschen verdrängen den Tod immer stärker aus ihrem alltäglichen Leben."
Oft würden nur eine Handvoll Leute die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg begleiten, bei manchen Begräbnissen komme überhaupt niemand. Für die Trauerbewältigung sei die Teilnahme am Begräbnis eines Angehörigen jedoch sehr wesentlich, sagt Zach. Und auch wenn man noch mitten im Leben zu stehen scheint, sei die Auseinandersetzung mit dem Tod wichtig: "Der Tod kommt nur allzu oft überraschend. Daher ist es für nicht wenige Menschen 'heilsam', an Begräbnissen als Trauergast teilzunehmen und sich dabei ihrer Endlichkeit bewusst zu werden."
Sandra Lobnig
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe April
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