Mag. Lukas Cioni
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Gottvertrauen hat mit der Bereitschaft zu tun, dem Ringen mit Gott nicht auszuweichen. Wer dieses Wagnis eingeht und sich auf Gott einlässt, wird am Ende gesegnet sein. Ein biblischer Erkundungsgang von Wilhelm Bruners.
"Besser ist's, sich zu bergen an Ihm / als sich zu bergen an Menschen" (Ps 118, 8). Manche Psalmen, jüdische Gebete, aber nicht nur sie, warnen vor dem Menschen. Auf Menschen ist kein Verlass. Vor allem vor den Herrschenden, den Ersten in Religion und Staat, gehen Gebete auf Abstand: Priester, Könige, Kriegsführer – die Edlen, die kein "Befreiertum" garantieren können (vgl. Ps 146, 3). Das haben jüdische Beter oft schmerzlich erfahren: Die Allianz von Religion, Politik und Militär führt zu katastrophalen Verhältnissen, zu Kriegen und großem menschlichen Leid.
Tatsächlich: Auf die Regierenden war und ist kein Verlass. Aber auch im Blick auf den Mitmenschen, den Nachbarn, ist Vorsicht geboten. Denn nicht nur "die da oben" halten sich in ihrer Überheblichkeit und Selbstüberschätzung nicht an die Weisungen Gottes – oft sind es die eigenen Verwandten, Freunde, Menschen, mit denen man gemeinsam zum "Haus des Herrn gepilgert ist", die plötzlich zu Feinden werden (Ps 55, 14f.). Und man selbst? Kann der Mensch sich selbst trauen?
Das biblische Beten setzt hoffend auf Gott, manchmal allein auf Gott. Aber sind Menschen dann nicht erst recht verlassen? Klingt nicht der Psalmvers, der zum Schrei Jesu vom Kreuz wird, schrill in unser Gehör: "Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?" (Ps 22, 1). Denn auch davon wissen die Psalmen "ein Lied zu singen": Es gibt die Erfahrung der Gottverlassenheit. Der Gottverdunkelung. Der Gottesleere. Ein großes Thema – besonders bei den Mystikern. Gebet als Schritt ins Ungewisse, Dunkle und Bodenlose? Ins Schweigen. Und Jesus hat diese Erfahrung durchlitten.
Es ist ein Ringen, dessen Ausgang zunächst im Dunkel der Gottes-Nacht liegt. Der erste, der diese Erfahrung in den biblischen Texten macht, ist der Erz-Vater Jakob: Der nächtliche Überfall durch einen "männlichen" Dämon, wie die Bildsprache der Bibel erzählt. Jakob steht vor der entscheidenden Begegnung auf Leben und Tod. Den Bruder hat er betrogen. Er ist geflohen. Die Nachtgestalt konfrontiert ihn mit sich selbst und mit Gott. Und er nimmt den Ringkampf an. Endlich nimmt er ihn an.
Im beginnenden Morgenlicht stellt sich heraus, dass er mit Gott gerungen hat, mit jenem Gott, der ihn bisher behütet und geschützt hat. Dieser Gott, der schon mit den Müttern und Vätern unterwegs ist, segnet ihn. Jakob ist hinfort gesegnet – und gezeichnet: Er hinkt. Aus dem Ringen mit Gott kommen wir nicht ungeschoren davon. Aber die Begegnung wird jetzt zur Versöhnung – mit Gott und dem Bruder, den Jakob betrogen hat.
Gottvertrauen hat mit der Bereitschaft zu tun, diesem (nächtlichen) Ringen nicht auszuweichen. Die Auseinandersetzung mit Gott, wie dunkel Gott uns auch begegnet, zu wagen. Um am Ende gesegnet zu sein. Oder – wie die Jesusüberlieferung zeigt – Auferstehung zu erfahren. Selbst die schwersten Steine geraten dann ins Rollen, selbst die verschlossensten Gräber stehen leer, wenn Menschen sich auf das Ringen mit Gott einlassen- wie es "der Sohn" und Menschenbruder, wie es Jesus getan hat.
Gottvertrauen entwickelt sich im Menschenleben im Prozess. Der Mensch kann vor Gott darauf bestehen, dass am Ende ein Segen daraus erwächst. Ein göttlicher Segen, der einen realistischen Blick auf das eigene Selbst und andere Menschen schenkt. Leben gründet dann zutiefst in der göttlichen Wirklichkeit, die sich dem Menschen segnend ausliefert und jede Abhängigkeit in österliche Freiheit führt.
Wilhelm Bruners
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Mai/Juni
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