Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Routine kann es bei diesem aufwühlenden Thema nie geben. Zugeben muss ich, dass mir anfänglich die Dimension der Schicksale und des oft unvorstellbaren Leides nicht bewusst war. Das heißt, jedes einzelne Gespräch ist immer auch anders, weil es um den jeweiligen Menschen und seine Würde geht.
Sehr oft – vor allem in den ersten Monaten, aber auch jetzt noch – ist es das Bedürfnis der Betroffenen, sich zu öffnen, erstmals nach Jahrzehnten des Schweigens, Verschweigens und Verdrängens zu erzählen, was einem Schreckliches widerfahren ist, erstmals eine Stelle zu haben, die einem wirklich zuhört und bereit ist, das Gehörte ernst zu nehmen und im Rahmen des Möglichen zu helfen. Es geht mir darum, jedem Einzelnen der Betroffenen seine Menschenwürde zurückzugeben. Viele haben sich auch gemeldet, damit nicht anderen Ähnliches angetan wird und werden kann. Daher haben wir die kirchlichen Verantwortlichen auf alle personellen und strukturellen Probleme unverzüglich aufmerksam gemacht und die notwendigen Konsequenzen verlangt, sofern die Beschuldigten noch lebten und leben.
Natürlich geht es um die Anerkennung als Opfer und auch um therapeutische und finanzielle Hilfeleistungen, da die Betroffenen nach ihren traumatischen Erlebnissen nicht selten leider auch sehr schwierige Lebenswege hatten. Finanzielle Hilfen können aber immer nur Gesten sein, weil das Leid nie materiell abgegolten werden kann. Das Geld steht daher immer erst ganz am Schluss der Wünsche. Sehr berührend finde ich, dass viele auch bereit zur Versöhnung sind– meist mit der Kirche, aber immer wieder auch mit dem "Täter". Das ist eine menschliche Größe. Versöhnung und Verzeihung kann immer nur vom Betroffenen gewährt werden, nicht vom Beschuldigten, auch wenn dies dankbar angenommen wird.
Gerade in den ersten Monaten ist uns eine Welle des Misstrauens und teilweise völlig unsachlicher und auch persönlich verletzender Kritik entgegengeschwappt. Wir haben uns in unserer Tätigkeit nicht beirren lassen und versucht, durch unsere Arbeit zu überzeugen, was weitgehend gelungen ist. Ich möchte anmerken, dass es keinen einzigen Fall gegeben hat, bei dem Vertreter der Kirche versucht haben, auf unsere Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Vielmehr sind alle Beschlüsse unserer Kommission 1:1 von der von der Bischofskonferenz gemeinsam mit den männlichen und weiblichen Ordenskonferenzen geschaffenen "Stiftung Opferschutz" umgesetzt worden. Zutiefst dankbar bin ich den kompetenten und renommierten Persönlichkeiten, die sich ehrenamtlich für die Arbeit in unserer Kommission zur Verfügung gestellt haben.
Es kann und darf keinen Schlussstrich geben. Die Aufarbeitung leidvollster Vergangenheit, die aktuelle Hilfe für Betroffene und die Bewusstseinsbildung und Prävention sind uns ein besonderes Anliegen. Es muss bewusst sein, dass Gewalt und Missbrauch nicht nur auf kirchliche und staatliche Einrichtungen, meist Internate und Schulen, beschränkt war, sondern auch in Familien, Sportvereinen oder beispielsweise in Jugendlagern auftreten kann. In diesem Sinne arbeitet die Kommission weiter und wurde auch von der Bischofskonferenz in diesem Arbeitsauftrag bestätigt.
Das Interview führte Henning Klingen
Info
Bisher hat sich die Unabhängige Opferschutzkommission mit mehr als 1.500 Fällen befasst. Es wurde ein opferorientiertes "Entschädigungsmodell" entwickelt, das keine Verjährungsfristen kennt. Angeboten wird u.a. ein Clearingverfahren mit erfahrenen Traumapsychologen, therapeutische Hilfestellungen meist in Form von Therapieeinheiten bei Psychologen und finanzielle Hilfestellungen. Diese sind in Kategorien zwischen 5.000 und 25.000 Euro sowie darüber hinausgehenden Zahlungen eingestuft. Insgesamt konnten bis zum Ende des ersten Halbjahres 2016 rund 1.500 positive Entscheidungen mit über 18 Millionen Euro zuerkannter Finanzhilfe und therapeutischer Hilfe im Gegenwert von mehr als 4,5 Millionen Euro getroffen werden.
» Webtipp: www.ombudsstellen.at
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Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Oktober/November
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